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Verfasser: Christiane Hintzen

Seit vielen Jahren bin ich Heilpraktikerin für Psychotherapie und arbeite überwiegend in Einzelsettings. 

Des Weiteren bin ich Nachsorge- Gruppentherapeutin für ehemalige Patienten aus psychosomatischen und psychotherapeutischen Kliniken. 

Die Diagnose der Patienten, die überwiegend in ihren Abschlussberichten der Kliniken steht, heißt Depression. In unterschiedlichen Ausprägungen. Von leichter bis schwerer Depression. 

Depression kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Niederdrücken.

Patient, ebenfalls aus dem Lateinischen bedeutet aushalten, ertragen, leiden, erdulden.

D.h. ein Mensch, der sich seelisch/ psychisch niedergedrückt fühlt, leidet, erduldet, erträgt und hält diesen Zustand aus. Aus dieser Situation heraus will er Hilfe in Kliniken finden und/ oder bei Ärzten und Therapeuten. 

Die Patienten, mit denen ich zu Beginn herausarbeite, was deren Ziele sind, antworten unterschiedlich. Zusammenfassend kann ich jedoch sagen, sie möchten die Freude am Leben wieder spüren. Dazu gehört sich wieder etwas zuzutrauen, aktiver zu werden, sich stabiler zu fühlen, ein gutes Selbstwertgefühl wahrzunehmen, Klarheit zu bekommen, besser im Kontakt mit anderen Personen zu sein etc.

Für mich als Therapeut heißt das letztendlich, das Ziel wie einen roten Faden im Blick zu behalten. Dazu möchte ich Ihnen eine Metapher aufzeigen. Stellen Sie sich vor, der Gipfel eines Berges ist das Ziel "Lebensfreude" (im Übrigen kann man Lebensfreude auch wirklich auf einem Gipfel spüren:-)). Der Weg zum Gipfel kann mühsam sein: steinig und unwegsam, steil und anstrengend. Doch zwischendurch werden Pausen eingelegt. Man kann ins Tal schauen und erkennen, wieviel man des Weges bereits gegangen ist. So erhält man Motivation um wieder weiter zu gehen. Dieses Bild steht bei mir für Therapie.

Als Therapeut ist es meine Aufgabe immer wieder "zu schauen" wieviel der Klient bereits gegangen ist und ob er wirklich! gegangen ist. Denn natürlich gibt es auch Klienten, die schon nach kurzer Zeit Pausen einlegen - zu lange - und dadurch nicht mehr den Antrieb haben, aufzustehen und weiterzugehen. Damit will ich sagen, sie bleiben (bewusst oder unbewusst) im Widerstand. Ein Voranschreiten Richtung Lebensfreude ist dann schwer erkennbar und fühlbar. 

Doch heute möchte ich von den Klienten sprechen, die sehr willens sind, den "Patienten" in sich los zu lassen. Sprich, sich vom Aushalten, Leiden, Erdulden und Ertragen der belastenden Seelenthemen zu lösen. 

Manchmal gelingt es den Klienten sich von ihren belastenden Themen, die sie mit in die Praxis bringen, zu befreien und manchmal ist es schon ausreichend eine neue Perspektive, eine neue Sichtweise zu gewinnen. Denn oft hat es gar nichts mit echter Befreiung zu tun, sondern vielmehr ist es die Erkenntnis und das Wiederfühlen können, das Platz macht für ein befreites Gefühl. 

Und ich möchte heute von diesen Klienten sprechen, die in ihrer ganz eigenen Zeit und doch mehr und mehr ihr Selbstvertrauen entdecken und in einzelnen Schritten ihrem Gipfel entgegen gehen. 

Gerade gestern hatte ich wieder die Nachsorgegruppe hier in der Praxis. Die meisten davon sind ca. ein Jahr dabei. Alle 14 Tage kommen sie zu einem festen Gruppentermin. Zu Beginn hat jeder Teilnehmer den zeitlichen Raum mitzuteilen, was ausgesprochen werden möchte. So teilte eine Teilnehmerin mit, dass sie sich über ihre Einzeltherapeutin (sie hatte bereits vor der Gruppe eine Therapeutin für Einzelsettings) sehr ärgere. Sie würde sie klein halten und sich nicht mit ihr freuen. Dazu muss erwähnt sein, diese Klientin hat große Fortschritte gemacht. 

Vorher war sie in einer Bank und es ging immer nur um Finanzen und  darum wie viele Verträge sie abgeschlossen hat etc. Es war ihr nicht menschlich genug. Es sei nicht um sie gegangen, sondern lediglich um Verträge. Das hat sie über Jahre hinweg in eine Depression gebracht. Sie hat ihr berufliches Dasein erduldet, ausgehalten, ertragen und dabei gelitten. Sie wurde zum Patienten.

Genau diese Klientin hat inzwischen eine Ausbildung zur Mediatorin gemacht, weil es dabei um Menschen geht und nicht um Verträge, wie sie selber meinte. Voller Freude und Stolz hatte sie vor einiger Zeit von ihrem erfolgreichen Abschluss berichtet. Gestern nun erwähnte sie, dass sie bereits als Mediatorin die ersten Klienten gehabt hätte. Und auch wenn sie noch unsicher sei, was ja verständlich sei als Anfänger, sie dennoch so motiviert ist und so voller Freude. Doch ihre Einzeltherapeutin meinte zu ihr, dass das alles viel zu schnell sei für sie. Und sie das nicht unterstützen würde, dass sie bereits aktiv damit arbeite. Nachher wäre es zu viel und dann???

Eine andere Klientin, auch mit der Diagnose Depression, begleite ich in Einzelsettings ca. zwei Jahre. Sie war Direktorin an einer Schule. Das Arbeiten mit den Kindern habe ihr immer viel Freude bereitet, doch das drum herum als Direktorin habe sie massiv überfordert und ihren eigentlichen Beruf als Lehrerin immer mehr ins Abseits gedrängt. Da sie sehr naturverbunden ist, brannte in ihr schon lange eine innere Flamme für das Arbeiten mit Kräutern und Pflanzen und das alles vielleicht als Workshop mit Kindern. So würden die Kinder hautnah an alles herangeführt werden. Bei ihren Schilderungen, wie sie sich alles vorstellt und wozu sie Lust hat,  leuchtete mein Praxisraum regelrecht. Denn ihre Begeisterung strahlte in den Raum. Und so begann sie sich ernst zu nehmen mit ihrem Wunsch und startete. Beginnend mit der Erweiterung ihres Gartens. 

Dann, bei ihrem vorletzten Termin sagte sie zu mir: "Sie waren die Einzige, die mich bestärkt hat, meinen Wunsch umzusetzen. Sie haben nie gesagt, dass wird Ihnen zu viel. Lassen sie es oder machen Sie weniger oder seien Sie vorsichtig." Doch ihre Ärzte und andere Therapeuten meinten, dass sei möglicherweise überfordernd für sie, die viele Arbeit im Garten und sie solle lieber weniger machen. 

Ein weiterer Klient, der chronifizierte Zwänge hat und dadurch seit 5 Jahren nicht mehr arbeitet, kam durch das Nichtstun noch tiefer in die Depression. Dieser Klient hatte seinen Verhaltenstherapeuten zu dem er regelmäßig ging. Vor ca. zwei Jahren war er dann mal bei mir in der Praxis und kam in zeitlichen Abständen immer wieder zu Einzelsettings. Dabei erwähnte er, dass er so gerne als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem EINE WELT LADEN tätig sein würde. Er sei auch schon dort gewesen und würde gerne 2 x in der Woche für jeweils 3 Stunden dort arbeiten wollen. Für mich - selbstverständlich - motivierte ich ihn und unterstützte diesen Gedanken. Auch er erzählte mir beim nachfolgenden Termin, dass sein Verhaltenstherapeut davon eher absieht. Auch mit der Begründung, dass das wohlmöglich zu viel sei.

Dann noch zum guten Schluss ein weiteres Beispiel von zwei Klientinnen, die in meiner Nachsorgegruppe als Teilnehmer waren. Beide erwähnten unabhängig voneinander, dass ihre Einzeltherapeutin es nicht so gerne sähe, dass sie zusätzlich noch in die Nachsorgegruppe gehe. Auch das sei zu viel und kontraproduktiv für die Therapie. Beide Klientinnen hatten jedoch das Gefühl, dass gerade beides ihnen gut tut. Die Einzeltherapie wie auch die Therapie in der Gruppe. 

All diese Aussagen habe mich ernüchtert und aufgerüttelt diesen Artikel zu schreiben. 

Wir alle, dazu müssen wir nicht den "Titel" Patient, Klient oder Teilnehmer tragen, wir alle sind Menschen und haben in unserer Kindheit erfahren, dass unsere Eltern uns gesagt haben, was wir dürfen und was wir nicht dürfen. Mal berechtigt, mal unverständlich. Daraus entwickeln sich oftmals persönliche Muster, die die "Genehmigung" von außen benötigen, um weitere Schritte auf ihrem eigenen Lebensweg zu gehen. Sonst entsteht Angst, Unsicherheit und Unvermögen. Sie machen sich abhängig. 

Als Therapeut habe ich die Aufgabe den Klienten ernst zu nehmen und ihn in seinem aufkommenden und gesunden Antrieb zu unterstützen und nicht zu blockieren und oder zu ängstigen. 

Wenn Eltern schon gesagt haben, "Lass das. Das kannst du nicht. Das wird zu viel für dich.", wer bin dann ich als Therapeut damit weiterzumachen?

Wie soll der Klient seine eigenen Grenzen kennen lernen, wenn wir  ihm sagen, wo seine sind? 

Das ist Anmaßung und therapeutische Überheblichkeit. Und wenn es das nicht ist, ist es falsch verstandene Vorsicht vom Therapeuten.

Denn ich spreche hier von mündigen Menschen, die als Klienten unsere Praxen aufsuchen. Wir Therapeuten und Berater sind geradezu aufgefordert ihre Ressourcen und Fähigkeiten für die Klienten selbst wieder sichtbar zu machen. 

Natürlich muss ich vorher die Wunden anschauen und heilen lassen. Denn mit einem gebrochenen Bein kann ich nicht auf den Berggipfel marschieren, namens "Lebensfreude". Doch ist das Bein geheilt, ist es meine Pflicht als Therapeut, dem Klienten die Wegbeschreibung zum Gipfel zu geben. 

Denn sobald sich ein Klient - ein Mensch - etwas zutraut, soll er motiviert damit beginnen.

Die eigenen Grenzen lernt man nur im Tun, also im Erleben, kennen. Dann kann der Mensch wahrnehmen, ob er einen Schritt weitergehen kann, einen zurückgehen sollte oder eine Pause einlegen muss. Nur so machen wir Erfahrungen und können dabei erkennen, wie es sich anfühlt. Im Moment, in der Gegenwart, in der Präsens.

Und ein Mensch, der aus seinem Leid ein schönes Lied machen WILL, den gilt es zu stärken. In der Liebe sagt man, wer dich klein macht und dich nicht unterstützt, der liebt dich nicht. 

Und ähnlich kann man es auch auf uns Therapeuten und Berater verwenden. Wer den Klienten klein hält und nicht in seinem gesunden Brennen für etwas unterstützt, ist ein schlechter Begleiter. 

Wie heißt es doch so schön? Was Paul über Peter sagt, sagt mehr über Paul als über Peter. Anders formuliert: Was der Therapeut über den Klienten sagt, sagt mehr über den Therapeuten als über den Klienten.

Stellen wir uns bitte niemals über unsere Klienten! Schon morgen können wir selbst als Therapeut eine Unterstützung suchen.

Und auch Du  willst bestärkt werden, wenn Dein Herz für ein Etwas brennt. 

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Zuhörer

Anne

Beruf: Entspannungstherapeutin, 1,49 €/Min.

Status:

Verfügbar

Kerstin

Beruf: Life Coach, 1,49 €/Min.

Status:

Abwesend (nicht verfügbar)

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